Es ist Sonntagmorgen in der deutschen Hauptstadt. Das Sonnenlicht fällt auf den weißen Küchentisch in meinem Berliner Studio – ein seltener Moment der Wärme im sonst eisigen Berliner Winter. Ich bereite mich darauf vor, mit der österreichischen Sängerin und guten Freundin Sofie Royer zu sprechen.
Wenige Minuten vor unserem geplanten Anruf schreibt sie mir eine Nachricht und entschuldigt sich, dass sie zehn Minuten zu spät dran ist. Ich antworte mit: „Das geht sich aus“ – ein kleiner Moment österreichischer Verbundenheit zwischen uns. Der Song Young-Girl Illusion aus ihrem aktuellen Album Young-Girl Forever läuft im Hintergrund und macht das Studio noch gemütlicher, als sie sich schließlich meldet.
Nach mehreren Shows in Europa ist Royer gerade aus der Schweiz nach Wien zurückgekehrt und genießt eine Pause vom Tourleben. Ihre Stimme klingt entspannt und leicht: „Ich bin gerade bei einer Freundin – falls du im Hintergrund seltsame Geräusche hörst: Das ist ihr Baby.“ Ein typischer Royer-Moment: lässig, humorvoll, mit einer natürlichen Leichtigkeit, die jeden um sie herum sofort entspannt. Ihre entspannte Art lässt kaum auf die große Ambition und Vision, die unter der Oberfläche schlummert, schließen.
Die talentierte Künstlerin hat ihre musikalische Reise früh begonnen. Mit österreichischen und iranischen Wurzeln wuchs sie in einem Umfeld reich an Kulturen auf. „Ich habe mit vier Jahren angefangen, Geige zu spielen“, erzählt sie. „Es war nicht wirklich meine Entscheidung – ich war vier – aber meine Eltern haben mich ermutigt. Ich glaube, sie wären froh gewesen, selbst die Chance gehabt zu haben. Als ich alt genug war, um es zu begreifen, hat es mir tatsächlich Spaß gemacht.“ Später experimentierte sie mit anderen Instrumenten. Heute beherrscht sie Geige, Bratsche, Klavier, Bass und Gitarre – bleibt dabei aber bescheiden: „Geige und Bratsche habe ich gelernt, den Rest habe ich mir selbst beigebracht. Aber wenn man ein Instrument spielt, will man automatisch auch weitere ausprobieren.“
Trotz ihrer klassischen Ausbildung lässt sich Royers Musik nicht kategorisch in eine Schublade stecken. Ihr Sound bewegt sich zwischen barockem Electro-Pop, verträumter Nostalgie und einem Hauch von Mystik. Sie hat es geschafft, einen Sound zu schaffen, der komplett und einzig sie ist. Die Leichtigkeit, mit der sie klassische und moderne Ästhetik verbindet, macht aus ihr ein faszinierendes Ausnahmetalent in der kontemporären Musikszene. „Ich mache einfach, was ich selbst gerne hören will“, sagt sie schlicht. „Vielleicht sollte ich mehr auf die Industrie achten – metaphorisch gesprochen, könnte ich mein Auto sicher besser einparken – aber ich mache das, was sich richtig anfühlt.“
Royer’s nonchalante Einstellung trügt jedoch, denn sie ist sich den Herausforderungen des Musikbusiness trotzdem bewusst: „Das Schwierigste ist das Geld.”, gibt sie zu. “Touren ist teuer, und Streaming bringt fast nichts ein. Heute bedeutet Künstlerin sein vor allem, Wege zu finden, seine Leidenschaft zu finanzieren.“
Ihr einzigartiger Sound und ihr Modebewusstsein haben sie zur Favoritin für Modebrands gemacht. Doch Royer sieht Mode als mehr als nur ästhetische Spielerei – für sie ist es ein Teil ihres Storytellings. Ob auf der Bühne oder in Musikvideos, Mode dient ihr als visuelle Begleitung zu ihrer Musik. „Ich liebe es, auf der Bühne eine Art Uniform zu tragen“, erklärt sie. „Das kommt wahrscheinlich von der klassischen Musik, wo man immer weiße Bluse und schwarzen Rock trägt. Ich habe das für mich adaptiert: ein weißes Oberteil und ein schwarzer Minirock aus Ponyhaar, den mein Freund für mich gemacht hat. Perfekt. Wenn ich bei einem Feuer nur ein Teil aus meinem Kleiderschrank retten könnte, dann wäre es dieser Rock.“ Für Wintertouren verlässt sie sich auf kniehohe Prada-Stiefel. „Ich mache auf der Bühne viele dramatische Drops, manchmal gehe ich etwas zu weit. Die Stiefel schützen meine Knie“, lacht sie.
Auch in ihren Musikvideos erzählt sie visuell fesselnde Geschichten. „Ich style alles selbst“, sagt sie. „Ich liebe es, meine Lieblingsfilme als Referenz zu nehmen – Jim Jarmusch, Bertolucci. „Mode zeigt, wer du als Künstlerin bist.“ Sie glaubt fest daran, dass Mode in der Musikindustrie oft unterschätzt wird: „Menschen erinnern sich daran, wie Musiker:innen aussehen, genauso wie an ihren Sound. David Bowie, Prince, Madonna – ihre Ästhetik prägte, wie wir ihre Musik wahrnehmen. Es hängt alles zusammen.“
Für dieses Shooting arbeitete Royer exklusiv mit Chanel zusammen, inspiriert von Marlene Dietrich und geschossen am Stadtrand von Paris. Erkennt sie sich in der Ikone wieder? „Sie war kompromisslos. Das sage ich auch gerne von mir. Und sie hatte eine unglaubliche Langlebigkeit – sie arbeitete bis ins hohe Alter. Das beeindruckt mich. Und ihre Augenbrauen – Wahsinn!“
Wie fühlt es sich als Künstlerin an, von so einem legendären Modehaus eingekleidet zu werden? „Ich liebe es, mit Chanel zu arbeiten“, sagt sie begeistert. „Chanel hat eine starke Identität: spielerisch, aber elegant. Ich hatte außerdem das Glück, ein paar Teile für meine Tour zu bekommen.“
Ein besonderes Highlight für sie war ein Set, das sie bei ihrem Auftritt in der Philharmonie de Paris letztes Jahr getragen hat. „Die Handschuhe waren fast wie Opernhandschuhe, aber ohne Finger. Sie glitzerten im Bühnenlicht. Chanel kann klassisch und gleichzeitig verspielt sein – genau mein Ding.“
Als Antwort auf die Frage nach ihrer Traumkollaboration erwarte ich einen internationalen Star, vielleich aus der experimentellen oder Avantgarde Pop-Szene. Doch ihre Antwort ist überraschend. “Lilith Stangenberg” erwidert sie sofort. “Sie ist eine deutsche Schauspielerin. Sie hat kürzlich Songs für ihre Filme gemacht, die ich unglaublich finde. Es wäre ein Traum, mit ihr zu arbeiten.“
Eine ungewöhnliche Wahl, in einer Branche, in der viele Künstler:innen Inspiration in Amerika oder Großbritannien suchen, ist Royers Fokus auf eine deutsche Künstlerin erfrischend anders und zeigt, wie wenig Aufmerksamkeit deutschsprachige Künstler:innen oft im internationalen Diskurs bekommen. Es ist selten, aber mehr als willkommen zu hören, wie Talent aus dem deutschsprachigen Raum von jemandem aus der internationalen Musikbranche anerkannt wird.
Und wenn sie mit einer verstorbenen Legende kollaborieren könnte? Sie winkt ab. „Ich finde solche Ideen langweilig – weil sie nie passieren werden“, sagt sie lachend. Eine typisch pragmatische Antwort: Ihre künstlerische Vision findet im Hier und Jetzt statt, statt vergangene Möglichkeiten zu romantisieren.
Ihr Sound lässt sich schwer kategorisieren, ihre Musik bewegt sich in ihre eigenen Kosmos. Als ich sie bitte, ihre Musik in drei Worten zu beschreiben, denkt sie kurz nach, bevor sie schmunzelt: „Verspielt. Zeitlos. Vielleicht ein bisschen sexy.“
Und was soll ihr Publikum diesem Sound entnehmen? „Ich will den Leuten Raum zum Tagträumen geben“, sagt sie. „Unsere Welt ist so durchgetaktet – meine Musik soll einen Raum schaffen, in den die eigenen Träume die eigenen Träume hineinprojiziert werden. Was dann daraus gemacht wird, ist die Sache der Hörer:innen.”
Sie hält einen Moment inne. „Ich finde, Musik sollte ein Raum sein, in den Menschen für eine Weile entfliehen, aus der Realität heraustreten und darin etwas Persönliches finden können. Es geht nicht darum, den Leuten vorzuschreiben, wie sie sich fühlen sollen, sondern ihnen den Raum zu geben, sich zu fühlen, wie sie möchten.“
Wenn sie über die Zukunft nachdenkt, bleiben Royers Ziele erfrischend einfach. „Ich will einfach hiermit weitermachen“, sagt sie. „Das ist alles, was ich will.“ Für sie zählt Beständigkeit mehr als schneller Erfolg. Sie möchte weiterhin Musik zu ihren eigenen Bedingungen machen und so eine Karriere aufbauen, die ihr die Freiheit gibt, zu erkunden, zu experimentieren und sich weiterzuentwickeln.
Künstlerische Integrität über virale Trends zu stellen und eine stetige Entwicklung ihres Sounds zu verfolgen – das ist der Weg, den Royer gewählt hat. Sie widersetzt sich dem Druck, einen schnellen, algorithmischen Erfolg zu erzielen. „Ich bin nicht daran interessiert, Trends hinterherzujagen oder über Nacht viral zu gehen“, sagt sie. „Ich glaube, viele Künstler:innen fühlen sich gezwungen, in dieses System hineinzuypielen, aber ich möchte lieber etwas Langlebiges aufbauen.“
Aus 10 Magazine DE Ausgabe 01 - MUSIC, TALENT, CREATIVE - jetzt im Handel erhältlich.
Text BENJAMIN SCHIFFER
Fotografie ALEXANDRA ALVAREZ GARCIA
Moderedakteur VERONIKA HEILBRUNNER
Talent SOFIE ROYER
Haare BENEDICTE CAZAU-BEYRET
Make-up ELENA BETTANELLO at Julian Watson Agency
Make-up-Assistenz MANUELA HORN
Ausführender Produzent NICOLAS SCHWAIGER
Produktion JOELLE FLACKE
Alle Outfits und Accessoires von CHANEL